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Mittwoch, 21. November 2012

Alles Verbrecher!? - Verräterische Sprache


Letzte Woche machte die Nachricht die Runde, dass erstmals binnen eines Jahres mehr als eine Million Sanktionen von den bundesdeutschen Jobcentern gegen SGB-Leistungsberechtigte verhängt worden sind.

Auch bei uns in der Beratung häufen sich in den letzten Wochen die Sanktionsfälle. Offensichtlich muss zum Jahresende noch einmal heftig auf dem Rücken der Schwächsten gespart werden.
In diesem Zusammenhang hatte ich einige Amtsbegleitungen und auch wenn es keine neue Erkenntnis ist möchte ich das was einem im Hartz-System so alltäglich begegnet nochmal anschaulich vergegenwärtigen:

Wer arbeitslos wird und einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellt wird zunächst einmal einem "Profiling" unterzogen. In der Kriminalistik versteht mensch unter diesem Begriff die Erstellung eines Täterprofils durch einen so genannten "Profiler". Dieses "Profiling" soll eigentlich gemeinsam mit dem Betroffenen durchgeführt werden und erarbeitet werden was individuell zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist. In der Realität wird jedoch nichts gemeinsam erarbeitet, und es werden standardisierte Maßnahmen, die keinesfalls individuell erforderlich sind,  von oben diktiert.

Wer diese Maßnahme (von Vollzugs-maßnahme? - Danke an FK für den Hinweis!) ablehnt, nicht antritt oder mal unentschuldigt fehlt erhält eine Sanktion. Möglich sind 10%, 30%, 60% und 100%-Sanktionen (so genannte Totalsanktionen, bei denen für drei Monate auch keine Krankenversicherung und keine Miete mehr bezahlt werden). Im Recht bedeutet das Wort Sanktion so viel wie Bestrafung nach einer Straftat/einem Vergehen. Im Strafrecht dienen Sanktionen dazu, andere unter Abschreckung von Fehlverhalten abzumahnen.
Im Krieg werden Sanktionen, zum Beispiel Embargos, gegen Staaten verhängt - und damit nicht diejenigen bestraft, die vermeintlich getroffen werden sollen, sondern alle dort lebenden Menschen in Hunger und Elend gestürzt.

Bevor eine Sanktion vollstreckt werden darf hat der/die Betroffene die Möglichkeit, diese durch eine Anhörung abzuwenden, wenn er oder sie wichtige und überzeugende Gründe vorbringen kann wird kann der/die Fallmanagerin nach eigenem Ermessen von einer Sanktion absehen. Anhörung ist auch so ein toller Begriff, der aus dem Strafrecht bekannt ist. Bei einer mündlichen Anhörung wird eine Verhandlungsniederschrift erstellt - mensch muss sich vorkommen als befände er/sie sich im Jobcenter vor Gericht.

Wen wundert es dann wenn sich im Lebenslauf der/des ein oder anderen Fallmanager_in die Station "BKA" wiederfindet.

Sprache ist verräterisch - wenn Betroffene tagtäglich mit Begriffen aus der Kriminalistik/Strafgerichtsbarkeit malträtiert werden müssen wir doch davon ausgehen, dass der Staat sie als (potentielle) Verbrecher_innen ansieht. Wen wundert es da, dass sie auch als solche behandelt werden: Von ihren Fallmanager_innen, von den Medien, von der Bevölkerung?