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Sonntag, 7. Februar 2016

Linke FeministInnen in der Sackgasse?



«Ich bin es so ver­dammt leid. Ich bin es leid, mir diese MarxistInnen anzu­schauen, diese SozialistInnen, diese AnarchistInnen, diese ach so revo­lu­tio­nä­ren Leute, die Frauen da drau­ßen in der Kälte ste­hen las­sen. Ich bin es leid, dass sie in allen Fra­gen radi­kale Posi­tio­nen ein­neh­men, außer bezüg­lich der Sex­in­dus­trie. Denn wisst ihr, wir kön­nen die Welt ver­än­dern, wir kön­nen eine neue Gesell­schaft schaf­fen – eine, die fair ist, gerecht, frei und ega­li­tär – aber wir erhal­ten eine Klasse von Frauen für Blo­wjobs.» (Meg­han Mur­phy)

Die Kana­die­rin Meg­han Mur­phy spricht mir – und vie­len ande­ren – damit aus dem Her­zen. Noch nie zuvor habe ich mit Tei­len der deut­schen Lin­ken und der femi­nis­ti­schen Szene so sehr geha­dert wie in der Aus­ein­an­der­set­zung mit der mil­li­ar­den­schwe­ren Sex­in­dus­trie. Mein Ver­ständ­nis von Femi­nis­mus ent­spricht dem der US-amerikanischen Femi­nis­tin Bar­bara Smith, die sagte: «Beim Femi­nis­mus geht es um die Befrei­ung aller Frauen, alles dar­un­ter ist kein Femi­nis­mus.» Oder um es mit Gail Dines zu sagen: «Neo­li­be­rale Femi­nis­tin­nen for­dern die Hälfte des Kuchens ein. Wir radi­ka­len Femi­nis­tin­nen wol­len gar nichts von die­sem ver­gif­te­ten Kuchen.» In mei­nen Augen muss sich die Linke ent­schei­den: Rich­ten wir uns gemüt­lich ein im Ultra­ka­pi­ta­lis­mus und for­dern ein paar Auf­sichts­rats– und Geschäfts­füh­re­rin­nen­pöst­chen hier und bes­sere indi­vi­du­elle Kar­rie­re­chan­cen dort, geben wir uns mit dem «Empower­ment» ein­zel­ner Frauen zufrie­den, oder neh­men wir end­lich den Kampf auf für die Befrei­ung aller Frauen, die in die­sem neo­li­be­ra­len Sys­tem in der Regel als erste unter die Räder kom­men? Ich meine mal ernst­haft: In einer Gesell­schaft, in der mehr als jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Betrof­fene von irgend­ei­ner Form von Gewalt wird: Sind DAS wirk­lich unsere Prio­ri­tä­ten als linke Femi­nis­tin­nen? Ist es nicht Zeit unse­ren Fokus neu zu schär­fen?


Ich habe mich mit dem Thema Pro­sti­tu­tion aus unter­schied­li­chen Blick­win­keln aus­ein­an­der­ge­setzt, und es ist schwer, dies in einem ein­zi­gen Debat­ten­bei­trag zusam­men­zu­fas­sen. Für eine tie­fer­ge­hende Betrach­tung seien des­halb die Quer­ver­weise empfohlen.

Das «Nor­di­sche Modell» – Eine Erfolgs­ge­schichte!

Das Euro­päi­sche Par­la­ment hat im März sei­nen Mit­glieds­staa­ten die Über­nahme des so genann­ten «Nor­di­schen Modells» emp­foh­len. Was zuerst die SchwedInnen (1999), dann auch die NorwegerInnen und IsländerInnen (2008) ver­stan­den haben, ist, dass Pro­sti­tu­tion eine zutiefst patri­ar­chale Insti­tu­tion ist, die Geschlech­ter­gleich­be­rech­ti­gung fun­da­men­tal im Weg steht und die gesamte Gesell­schaft, und eben nicht nur die Frauen (Män­ner, Trans­per­so­nen…) in der Pro­sti­tu­tion, nega­tiv beein­träch­tigt. Man muss sich nur mal die Außen­wahr­neh­mung der unter­schied­li­chen Län­der anschauen: Wäh­rend Schwe­den über­all auf der Welt zuneh­mend als Vor­bild gilt, der Rück­gang von Menschenhandel/Zwangsprostitution und der Zusam­men­hang von mehr Pro­sti­tu­tion = mehr Ver­ge­wal­ti­gung inzwi­schen bes­tens belegt ist, gel­ten Deutsch­land und die Nie­der­lande als Nega­tiv­bei­spiele, wie man es bitte nicht machen sollte. Ob «Ger­many is like Aldi for pro­sti­tu­tes» oder «Deutsch­land ist die Hölle auf Erden für die pro­sti­tu­ierte Klasse»  – es fin­den sich zahl­rei­che sol­cher Bewer­tun­gen. Der Tele­graph hat einen erschüt­tern­den und sehr sorg­fäl­tig recher­chier­ten und welt­weit viel beach­te­ten Gesamt­über­blick über die Situa­tion in Deutsch­land.

Allen Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen zum Trotz (z.B. etwa der unver­meid­li­chen Susanne Dodil­let, die immer wie­der als Kron­zeu­gin gegen das nor­di­sche Modell aus­sa­gen darf, der aber in Schwe­den wis­sen­schaft­li­che Unzu­läng­lich­keit nach­ge­wie­sen wurde; oder Petra Öster­grens, die ihre Mas­ter­ar­beit auf 15 hand­ver­le­se­nen Pro­sti­tu­ier­ten auf­baute und die alle die­je­ni­gen, die schlechte Erfah­run­gen in der Pro­sti­tu­tion gemacht haben, expli­zit aus­schloss), zeigt Schwe­den den bes­ten Weg zum Umgang mit Pro­sti­tu­tion auf.

Schwe­den hat 1999 nach jahr­zehn­te­lan­ger, inten­si­ver (!) und sehr weit­ge­fä­cher­ter For­schung ein Gesetz ein­ge­führt, nach dem das Anbie­ten und der Ver­kauf von Sex legal ist, der Kauf hin­ge­gen sank­tio­niert und gesell­schaft­lich mit unter­schied­lichs­ten Mit­teln bekämpft wird. Häu­fig wird behaup­tet, die­ses Gesetz sei über die Köpfe der Betrof­fe­nen hin­weg beschlos­sen wor­den. Dem ist ein­deu­tig nicht so. Die schwe­di­sche For­schung zeich­net sich gerade dadurch aus, dass sie sehr genau auf die Stim­men der Betrof­fe­nen gehört hat. Seit den spä­ten 70er Jah­ren tra­fen sich schwe­di­sche ProstitutionsforscherInnen mit Betrof­fe­nen, ganz ohne Vor­ur­teile, und hör­ten sich an, was sie zu sagen haben. Die ExpertInnen der Regie­rungs­kom­mis­sion besuch­ten ab 1977 mehr als drei Jahre lang Sex­clubs, spra­chen mit Pro­sti­tu­ier­ten, Sex­käu­fern und ande­ren, die sie dort tra­fen. Sie woll­ten ver­ste­hen, was genau Pro­sti­tu­tion aus­macht. Her­aus kam ein 800 Sei­ten dicker Bericht, davon 140 Sei­ten Aus­sa­gen von Betrof­fe­nen. Seite für Seite erzähl­ten pro­sti­tu­ierte Frauen von ihrem Weg in die Pro­sti­tu­tion, über die Sex­käu­fer, von der Rolle von Alko­hol und Dro­gen, von Gewalt, Scham, Stärke und Über­le­bens­stra­te­gien. Diese Vor­ge­hens­weise war ein­ma­lig. Frü­here For­scher hat­ten Pro­sti­tu­ierte als abnor­mal abge­stem­pelt, Pro­sti­tu­tion am Rand der Gesell­schaft ver­or­tet. Diese For­schung kann zu Recht als Para­dig­men­wech­sel bezeich­net wer­den (vgl. Trine Rogg Kors­vik: The Nor­dic Model).
Anders als häu­fig ange­nom­men: Das «nor­di­sche Modell» beschränkt sich nicht nur auf die Frei­er­be­stra­fung, son­dern wird beglei­tet von einer Viel­zahl sinn­vol­ler, ergän­zen­der Maß­nah­men. Das Sich-Prostituieren ist ent­kri­mi­na­li­siert, aus­schließ­lich die Sex­käu­fer wer­den zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen.

Der schwe­di­sche Regie­rungs­be­richt aus dem Jahr 2010 hat fol­gende Ergeb­nisse aus 10 Jah­ren schwe­di­sches Modell fest­ge­stellt:
• Pro­sti­tu­tion ist signi­fi­kant zurück­ge­gan­gen (von geschätz­ten 3000 in 1995 auf geschätzte 1500 in 2002 und 600 in 2008);
• die Gesetz­ge­bung fin­det breite Zustim­mung in der Poli­tik und wird sowohl vom lin­ken als auch kon­ser­va­ti­ven Lager getra­gen, 70% der Bevöl­ke­rung ste­hen dahin­ter (größte Zustim­mung in den jün­ge­ren Alters­stu­fen);
• die Poli­zei erklärt, dass Schwe­den weni­ger attrak­tiv für Men­schen­händ­ler gewor­den ist und dass sie einen guten Über­blick über die Situa­tion hat;
• Stra­ßen­pro­sti­tu­tion konnte hal­biert wer­den, es gibt kei­ner­lei Anzei­chen dafür, dass sie in geschlos­sene Räume ver­drängt wurde;
• es gibt weni­ger Sex­käu­fer: 2013 gaben 8% der Män­ner an, für Sex bezahlt zu haben, 1996 waren es 13%;
• Gewalt gegen Pro­sti­tu­ierte hat nicht zuge­nom­men, ihre Lebens­be­din­gun­gen haben sich nicht ver­schlech­tert; gewalt­tä­tige Freier kön­nen der Poli­zei gemel­det wer­den;
• der Aus­stieg aus der Pro­sti­tu­tion ist leich­ter gewor­den: Die Betrof­fe­nen kön­nen jetzt viel mehr als zuvor ihre Rechte gel­tend machen und sich viel mehr mit Infor­ma­tio­nen über gewalt­tä­tige Käu­fer an die Poli­zei wen­den; das Ver­trauen in die Poli­zei ist gestie­gen; Pro­sti­tu­ierte in Schwe­den ver­die­nen im inter­na­tio­na­len Ver­gleich am meis­ten. Es muss nüch­tern fest­ge­hal­ten wer­den: Pro­sti­tu­tion kann nie­mals unter Bedin­gun­gen statt­fin­den, die sicher oder gewalt­frei sind. Gewalt in der Pro­sti­tu­tion gibt es über­all, völ­lig unab­hän­gig von der Gesetz­ge­bung. Eine «Bio­pro­sti­tu­tion» exis­tiert nicht.

Pro­sti­tu­tion als patri­ar­chale Insti­tu­tion

Sämt­li­che Unter­su­chun­gen zum Thema zei­gen ein unglaub­lich hohes Maß an Gewalt, dem die Frauen in der Pro­sti­tu­tion aus­ge­setzt sind. Stu­dien zei­gen auch eine auf­fäl­lig hohe Anzahl an Miss­hand­lun­gen – sexu­el­ler und ande­rer Art – in der Kind­heit der betrof­fe­nen Per­so­nen. Ergeb­nisse aus der Trau­ma­for­schung und die Erfah­run­gen von Grup­pen, die sich als selbst Betrof­fene mit den Fol­gen sol­cher Erleb­nisse aus­ein­an­der set­zen, zei­gen, wie diese Trau­mata in der Pro­sti­tu­tion wei­ter wir­ken und ver­stärkt wer­den (vgl. zum Bei­spiel hier und hier). Pro­sti­tu­tion ist außer­dem ein Nähr­bo­den für skru­pel­lose Geschäf­te­ma­cher, die als «Beschüt­zer» auf­tre­ten oder als «Bie­ter wun­der­ba­rer Arbeits­plätze» – so die Pro­sti­tu­ti­ons­lobby –, die aber in Wirk­lich­keit ihre Geschäfte auf Kos­ten der Frauen machen. Wie kön­nen linke Feminist_innen gerade dies immer wie­der aus­blen­den und so tun, als sei die durch­schnitt­li­che Prostituierte/«Sexarbeiterin» deutsch, selbst­stän­dig und selbst­be­stimmt?  Neh­men sie über­haupt die voll­kom­men abwei­chende Lebens­si­tua­tion der mehr als 80% Ost­eu­ro­päe­rin­nen, die aus mate­ri­el­ler Not kom­men, wahr? und män­ner­ver­ach­tende Gedanke, dass ein Pool an Frauen zur Ver­fü­gung zu ste­hen hat, um die angeb­li­chen sexu­el­len Bedürf­nisse von Män­nern zu befrie­di­gen. Die Bot­schaft der Pro­sti­tu­tion lau­tet, dass Män­ner jeder­zeit mit irgend­ei­ner Frau (oder einem ande­ren von ihrem Geld abhän­gi­gen Men­schen) Sex haben kön­nen, solange sie dafür zah­len, dass der weib­li­che Kör­per zu ihrer Benut­zung bereit­steht und dass sie ein Recht dar­auf haben, dass ihre sexu­el­len Wün­sche erfüllt wer­den (vgl. Udo Ger­heim, Die Pro­duk­tion des Frei­ers. Macht im Feld der Prostitution).

Sexu­elle Revo­lu­tion? Für wen?

Es ist lächer­lich, wenn Pro­sti­tu­ti­ons­geg­ne­rin­nen immer wie­der als prüde, lust­feind­lich und ver­klemmt dar­ge­stellt wer­den. Nie­mand von uns for­dert, dass Sexua­li­tät und Liebe untrenn­bar zusam­men­ge­hö­ren. Wenn sexu­elle Befrei­ung aber ein Degra­die­ren von Frauen zu Objek­ten männ­li­cher Lust bedeu­ten soll, dann möchte ich per­sön­lich diese Befrei­ung nicht und eine Ver­bin­dung zu Femi­nis­mus kann aus die­ser Prä­misse her­aus auch nicht her­ge­stellt wer­den. Wenn der Begriff «Kon­sens» auf die rein for­male Zustim­mung zusam­men­ver­stüm­melt wird und Pro­sti­tu­tion unter «sexu­elle Selbst­be­stim­mung» fal­len soll, dann ist es an der Zeit noch ein­mal zen­trale femi­nis­ti­sche Begriffe zu defi­nie­ren. Denn es ver­är­gert mich, wenn uns femi­nis­ti­sche For­de­run­gen in ihrer Bedeu­tung umge­kehrt als Bume­rang zurück­ge­wor­fen wer­den.

Meine Defi­ni­tion von sexu­el­ler Selbst­be­stim­mung ent­spricht die­ser: Mensch gönnt sich sexu­el­les Erle­ben allein, mit PartnerIn, mit wech­seln­den SexualpartnerInnen, mit meh­re­ren gleich­zei­tig, weil mensch Lust auf Sex mit genau dieser/diesen Personen hat. Mensch erlebt den Sex lust­voll und die sexu­elle Befrie­di­gung macht ihn/sie glück­lich, erfüllt, beglückt und die Per­son nimmt die Glücks­er­fül­lung mit in den All­tag.

In aller Regel bedeu­tet Pro­sti­tu­tion: Für die pro­sti­tu­ierte Per­son geht es nicht um ihr sexu­el­les Erle­ben. Ohne mate­ri­elle Ent­schä­di­gung würde sie dem Sex mit der Person/den Per­so­nen nicht zustim­men. Ihre Bedürf­nisse haben kei­nen Raum und müs­sen zurück­ge­stellt wer­den zuguns­ten der Bedürf­nis­be­frie­di­gung der zah­len­den Personen. Über­wie­gend ist der sexu­elle Akt mit nega­ti­ven Gefüh­len ver­bun­den und nicht mit Ruhe, Ent­span­nung und einem durch das Selbst­ver­ständ­nis bei­der geschütz­ten Rah­men. Diese nega­ti­ven Emp­fin­dun­gen darf sie nicht zulas­sen und äußern, denn sonst könnte sie als pro­sti­tu­ierte Per­son nicht tätig sein, ergo, sie muss ver­drän­gen (von Dis­so­zia­tion als Schutz­me­cha­nis­mus berich­ten pro­sti­tu­ierte Per­so­nen, unab­hän­gig davon, ob sie der Pro­sti­tu­tion posi­tiv oder nega­tiv gegen­über­ste­hen).

Das Kon­zept des enthu­si­as­tic Consent (Konsens/Zustimmung) ist ein Gegen­kon­zept zur Rape Cul­ture. Zustim­mung zu ein­ver­nehm­li­chen Sex beschränkt sich nicht nur auf «Nein heißt Nein», son­dern es bedarf einer kon­kre­ten akti­ven Zustim­mung zu einer kon­kre­ten sexu­el­len Hand­lung, sprich: Nur Ja heißt Ja – Es geht dabei auch nicht um die Aus­hand­lung eines Mini­mal­kon­sens, son­dern darum, dass alle Betei­lig­ten sagen: «Ja, genau das will ich.» Alles jen­seits die­ser wirk­lich freien Zustim­mung aus der eige­nen Lust her­aus ist ent­we­der offene, sicht­bare Gewalt oder psy­chi­sche, es ist «com­pli­cance», ein Mit­ma­chen oder eine Koope­ra­tion, eine ober­fläch­li­che Zustim­mung, um dro­hende Nach­teile zu ver­mei­den. Dabei ist es egal, ob diese Nach­teile unmit­tel­bar von der ande­ren Per­son aus­ge­hen oder ein Aspekt sys­te­mi­scher und öko­no­mi­scher Gewalt sind. Eine Situa­tion, in der ein Mensch einen ande­ren Men­schen in eine Situa­tion zwingt, aus der die Per­son nicht alleine ent­kom­men kann (durch phy­si­sche Gewalt, aber auch durch Macht­ge­fälle), bedeu­tet Zwang. Dar­aus dürfte klar wer­den, dass Pro­sti­tu­tion nicht als kon­sen­sua­ler Akt ver­stan­den wer­den kann.

Drei­fa­che Unter­drü­ckung – weil es so schön ist?

Um noch­mal zum Aus­gangs­punkt zurück­zu­kom­men: Men­schen­würde ist nichts Indi­vi­du­el­les, son­dern etwas Uni­ver­sel­les. Wenn ich es für die einen nicht für zumut­bar halte, sich den Lebens­un­ter­halt durch Pro­sti­tu­tion zu bestrei­ten, dann kann ich es in Bezug auf andere nicht plötz­lich als men­schen­wür­dig dekla­rie­ren. Zu der Benut­zung von ande­ren Men­schen aus ego­is­ti­schen Moti­ven habe ich eben­falls eine klare Hal­tung: NO GO! Des­halb ist es abso­lut fol­ge­rich­tig, im Kon­text der Pro­sti­tu­tion die Sex­käu­fer in die Ver­ant­wor­tung zu neh­men.

Der so genannte Post­fe­mi­nis­mus wen­det sich deut­lich ab von dem gemein­sa­men Kampf für Frau­en­rechte, gegen die triple opp­res­sion auf­grund von Geschlecht, eth­ni­scher Her­kunft, sozia­ler Klasse. Diese drei Aspekte wir­ken nir­gendwo so deut­lich zusam­men­wir­ken wie in der Pro­sti­tu­tion. Dazu auch Nata­lie Schmidt (Vor­wärts):

«Auf­fäl­lig ist, wie wenig sich der Post­fe­mi­nis­mus mit öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­sen befasst. Viel­mehr steht im Vor­der­grund, kul­tu­relle Codes zu kna­cken, das eigene Rol­len­ver­hal­ten zu ändern und den indi­vi­du­el­len Weg zu fin­den, um im Patri­ar­chat zu über­le­ben. Das klingt nicht nach Kapi­ta­lis­mus­kri­tik, die die Ver­hält­nisse als Gan­zes und damit eben nicht nur in Bezug auf kul­tu­relle Spiel­ar­ten von Geschlecht betrach­tet. Es beschreibt viel­mehr einen Weg, um inner­halb der beste­hen­den kapi­ta­lis­ti­schen Ord­nung eben noch den größt­mög­li­chen per­sön­li­chen Vor­teil her­aus­zu­schla­gen. Es ist beun­ru­hi­gend, wie viel die Ideale des Post­fe­mi­nis­mus mit denen der neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie gemein­sam haben.»

Und wei­ter:

«Die­ses Kon­zept der Selbst­ver­wirk­li­chung igno­riert die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nisse, in denen Frauen wei­ter­hin öko­no­mi­schen Zwän­gen und hege­mo­nial männ­li­chen Hier­ar­chien aus­ge­setzt sind, auf die sie als Ein­zel­per­so­nen wenig oder kei­nen Ein­fluss haben. In der zwei­ten Frau­en­be­we­gung bedeu­tete Eman­zi­pa­tion, sich frei zu machen von der Abhän­gig­keit von Män­nern, soli­da­ri­sche Bezie­hun­gen zwi­schen Frauen zu knüp­fen und eine anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Posi­tion zu ver­tre­ten. Im Post­fe­mi­nis­mus bedeu­tet Eman­zi­pa­tion – pas­send zur neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie – im kapi­ta­lis­ti­schen Sinne indi­vi­du­ell erfolg­reich zu sein und ver­meint­lich über den Unge­rech­tig­kei­ten zu ste­hen.»

Sprich: Femi­nis­mus ist total hip und auch ganz toll als indi­vi­du­elle Kar­rie­re­stra­te­gie, auf Soli­da­ri­tät für die­je­ni­gen, die in die­sem patriarchal-kapitalistischen Sys­tem unter die Räder kom­men, ist aus die­sen Krei­sen jedoch nicht zu hof­fen. Frei nach dem Postbank-Slogan «Unterm Strich zähl ich» – und sonst nie­mand.

Ich wün­sche mir, dass Linke (und) Femi­nis­tIn­nen ihre neo­li­be­rale Platt­form end­lich wie­der ver­las­sen und wie­der anfan­gen Marx, Hegel, Gold­man, Beau­voir, Fires­tone, und all die ande­ren Klas­si­ker zu lesen, gesell­schaft­li­che Ana­lyse zu betrei­ben und anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Alter­na­ti­ven zu formulieren.

Aus­blick

Bei aller Ver­stim­mung und Ver­stö­rung. Ich bin sehr dank­bar über die Pro­sti­tu­ti­ons­de­batte, weil sie mir ein gro­ßes Geschenk beschert hat: Eine breite, inter­na­tio­nale Ver­net­zung mit ande­ren Frauen und Män­nern, die nicht Wil­lens sind, die Gedan­ken­lo­sig­keit und die kata­stro­pha­len Zustände hin­zu­neh­men. Ich bin aus tiefs­tem Her­zen dank­bar über die vie­len KämpferInnen an mei­ner Seite, die mir das sichere Gefühl geben: Es wird ein lan­ger, stei­ni­ger Weg wer­den, aber wir wer­den ihn gemein­sam gehen und das Ziel ist es ver­dammt wert, ihn zu beschrei­ten. Lets go nordic!

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 30. Juni 2014 auf dem ANTIFRA Debattenblog der Rosa-Luxemburg-Stiftung